Zusammenfassung von Robert
Jetter, Urdorf 2006
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Ausgangslage, Ziel und Zweck
der Studie.
Die Verschiebung der
Alterspyramide nach oben, die steigende Anzahl der
Führerausweisinhaber in den höheren Altersgruppen und das wachsende
Mobilitätsbedürfnis haben dazu geführt, dass ein immer grösserer Anteil
von
betagten Personen so lange wie möglich aktiv am motorisierten
Strassenverkehr
teilnimmt.
In den nächsten 10 – 15 Jahren
ist mit einer Verdoppelung der Führerausweisinhaber
über 70 Jahren zu rechnen. Interessant ist die Entwicklung
insbesondere bei den Frauen, bei denen die Mobilität und das Autofahren
im
Vergleich zu früher (erfreulicherweise) erheblich zugenommen haben.
Während 2000 noch ca. 10 % aller 80-jährigen Frauen einen Ausweis
besassen,
wird sich dieser Anteil im Jahre 2025 voraussichtlich auf 80 % erhöhen.
Wer über Jahrzehnte gewohnt
ist, mit dem Auto zu reisen, einzukaufen oder
Ausflüge und Besuche (Arzt) zu machen, wird dies auch mit zunehmendem
Alter nicht missen wollen. Vor allem dann, wenn der Bewegungsapparat
nicht
mehr so gut mitmacht wie in jungen Jahren.
Daher muss die rechtzeitige
Erfassung von verkehrsrelevanten Erkrankungen und Fahrdefiziten
absolute Priorität haben. Die Studie soll alle Aspekte des Fahrens im
Alter beleuchten und
allfällige Verbesserungsvorschläge zur Unfallrisikosenkung aufzeigen.
Vorurteile und Fakten
Autounfälle mit älteren
Verkehrsteilnehmern erfahren in der Öffentlichkeit (Presse) viel
Aufmerksamkeit. Die nachlassende Leistungsfähigkeit der
Sinneswahrnehmungen und der Informationsverarbeitung mit zunehmendem
Alter ist zwar durch viele Studien belegt, schlägt sich allerdings in
entsprechenden Unfallstatistiken kaum nieder.
ältere Autofahrer bilden daher
gegenwärtig (noch) keine Risikogruppe. Verglichen mit anderen
Altersgruppen sind die absoluten Unfallzahlen von älteren Autofahrern
relativ niedrig.
Die Altersgruppe 18 bis 24 ist
um ein Vielfaches häufiger in Unfälle verwickelt. Zu bemerken gilt
jedoch, dass mit zunehmendem Alter Senioren als Fussgänger häufiger in
Verkehrsunfälle verwickelt sind.
Fakt ist weiter, dass die
Fahreignung bei gesunden Personen bis zu einem Alter von 80-85 Jahren
meist nicht eingeschränkt und die physiologische altersbedingte
Veränderung wird recht lange kompensiert. Der gesunde Hochbetagte kann
in den meisten Fällen seine Defizite erkennen und verzichtet bei
Erreichen der Leistungsgrenze oftmals freiwillig auf das Fahren.
Bei der Unfallhäufigkeit
dieser Gruppe wird aufgezeigt, dass über die Jahre die Absolutzahlen
sinken. Werden jedoch die gefahrenen Kilometer
in die statistische Auswertung einbezogen, so steigt das Unfallrisiko
mit 75 Jahren deutlich an.
Demographischer Wandel.
Unzweifelhaft nimmt der Anteil
älterer Fahrer und Fahrerinnen in den westlichen Industrienationen
beständig und deutlich zu. So schätzt Oswald (1999), dass in wenigen
Jahren ca. jeder dritte Autofahrer über 65 Jahre alt sein wird. Dieser
Zuwachs hängt mit dem von den Demographen prognostizierten Zuwachs
älterer Personen zusammen (abnehmende Geburtenrate und zunehmende
Lebenserwartung).
Zusätzlich zu der ohnehin
vorhandenen Alterung der Gesellschaft wird sich auch noch der Anteil
der älteren Menschen mit Führerausweisen erhöhen, da immer mehr
Menschen einen Fahrausweis erwerben als vor 20 Jahren.
Schweiz. Gesetzesauflagen für
Senioren.
In der Schweiz müssen sich
sämtliche über 70 jährigen Fahrausweisinhaber alle 2 Jahre einer
verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchung unterziehen (VZV Art 27).
In den meisten Kantonen werden
die Hausärzte von der Zulassungsbehörde mit der Durchführung dieser
Fahreignungsabklärung beauftragt.
Es stellt sich nun die Frage,
ob der Hausarzt willens ist, seinem Patienten bei angedeuteter
Fahruntauglichkeit den Ausweis zu entziehen. Hier gerät der Arzt nicht
selten in einen Interessenkonflikt, der meist ungelöst bleiben könnte,
sofern der Proband nicht freiwillig auf den Fahrausweis verzichtet.
Weiter kann der Patient das
Urteil des Hausarztes ablehnen oder die Praxis wechseln. Ebenfalls
besteht die Möglichkeit, dem Arzt zu verbieten, ein negatives Resultat
dem StVA zu melden (Arztgeheimnis).
Fazit: Der
Hausarzt hat gegenüber den Behörden ein Melderecht jedoch keine
Meldepflicht.
Fahreignung Ja oder Nein ?
Betrachten wir zunächst die
rein altersbedingten, physiologisch auftretenden Einschränkungen beim
gesunden älteren Lenker.
Bei manchen Senioren sind
Einschränkungen im Bereich des Bewegungsapparates festzustellen, wobei
hier das Kopfdrehen am meisten verkehrsrelevant ist. Zweitens nimmt die
Sehschärfe im Alter immer mehr ab, wobei in den meisten Fällen die ges.
vorgeschriebenen Mindestwerte (mit Brillen) auch im höheren Alter immer
noch knapp erreicht werden, solange kein krankhafter Zustand (z.B.
grauer Star) vorliegt. Die Hirnleistungsfunktion bleibt bei einer
gesunden Person auch im höheren Alter weitgehend intakt, wobei
allerdings eine zunehmend leichte Verlangsamung der
Informationsaufnahme- und verarbeitung zu beobachten ist. Die reine
Reaktionsfähigkeit ist beim gesunden Senior entgegen landläufigen
Meinungen meist nicht wesentlich eingeschränkt.
Der gesunde Betagte
kompensiert Defizite in der Regel, schränkt sich selber in der
Fahrleistung zunehmend ein und verzichtet beim Bemerken von
verkehrsrelevanten Leistungsmängel oftmals freiwillig auf den
Fahrausweis. Dies benötigt jedoch eine gewisse Voraussetzung zur
intakten Einsichtsfähigkeit beim Senior. Mit zunehmendem Alter treten
aber immer häufiger verkehrsrelevante Krankheitszustände wie beginnende
Demenz-Erkrankungen,
Folgen von Schlaganfällen,
Kreislauferkrankungen usw. auf. Diese Krankheiten sind die
Hauptursachen für eine Einschränkung der Fahreignung bei betagten
Motorfahrzeuglenker/innen.
Bei einer Untersuchung von 150
über 70-jährigen Autolenkern, die von der verkehrsmedizinischen
Abteilung des Instituts für Rechtsmedizin nach einem Unfall im Verkehr
untersucht wurden, fand sich bei 42 % der Untersuchten eine beginnende
Demenz, bei 30 % zeigten sich Probleme mit dem Sehvermögen und bei 12 %
bestanden Einschränkungen nach einem Schlaganfall (div. 10 %). Nur 6 %
wiesen kein verkehrsrelevantes Krankheitsbild auf. Dies bedeutet, dass
in der Mehrzahl der Fälle eine medizinische Problematik als
Hauptursache für eine nicht mehr gegebene Fahreignung vorliegt.
Die Unfallstatistik zeigt
weiter auf, dass Senioren häufig in folgende Unfälle verwickelt sind:
Rotlichtüberfahrungen, Fahren über Kreuzungen, Abbiegen nach links,
Rückwärtsfahren. Die Folgen sind meist für alle Beteiligten gravierend.
Gemäss Herr Dr. Ernst Fröhlich
(Thurgau) werden zurzeit jährlich im Kanton Thurgau 6‘000 ärztliche
Kontrolluntersuchungen von Personen über 70 Jahren durchgeführt. Im
Jahre 2035 werden es im Thurgau ca. 18‘000 ärztliche
Kontrolluntersuchungen pro Jahr sein. Daraus ergibt sich die Frage, wie
dies finanziell zukünftig machbar ist und wer diese hohe Anzahl
ärztlicher Kontrolluntersuchungen korrekt durchführen wird.
Da Autofahren eher ein
automatisierter Prozess und weniger ein explizit kognitiver Prozess
darstellt (Prof.Dr.rer.nat. Lutz Jäncke), bleibt das Gehirn plastisch
(bildend) und gewährleistet auch bis ins hohe Alter eine enorme
Lernfähigkeit. Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Fahrern sind
meist klein.
Das Problem besteht eher
darin, dass ältere Menschen im Hinblick auf ihre kognitive Leistung und
ihre Fahreignung verunsichert sind.
Denkbare Massnahmen zur
Verbesserung des Fahrverhaltens von Senioren sind der Aufbau von
Sicherheit und die Steigerung der Fahrleistung. Dies kann z.B. durch
eine Aufklärung über die Lernfähigkeit des Gehirns, Auffrischung von
Regeln oder intensives Trainieren des Fahrverhaltens erfolgen. Ein
wichtiger Aspekt ist allerdings, dass eine dezidierte Demenzdiagnostik
im fortgeschrittenen Alter diagnostiziert wird.
Wie unterstützt der SFV die
Problematik?
Zurzeit werden vom SFV
Fahrberater ausgebildet, welche bei Senioren die Fahreignung auf der
fahrerischen Seite abklären. Erfreulicherweise ziehen Ärzte diese
kompetenten Drittpersonen immer häufiger zur Urteilsfindung bei, so
dass neben der medizinischen auch die fahrerische Seite des Probanden
analysiert wird. Ebenfalls sollten Angehörige, die sich um ihre Auto
fahrenden Verwandten sorgen, versuchen, diese für eine Fahrberatung zu
gewinnen. Denn zwischen den ärztlichen Kontrollen liegen immerhin zwei
Jahre, ein Zeitraum, in dem viele Gesundheitsprobleme auftauchen können.
Die Fahreignung ist nicht
altersabhängig,sondern krankheitsabhängig
Fragebogen für Senioren
- Wenn eine Aussage zutrifft sollten Sie
abklären wo die Ursache liegt.
- Kreuzungen machen mich manchmal nervös, weil
man gleichzeitig auf so Vieles achten muss.
- Im dichten Strassenverkehr fühle ich mich
manchmal überfordert.
- Ich stelle ab und zu fest, dass ich in
kritischen Situationen langsamer reagiere als früher.
- Ich sehe häufiger als früher einen Fussgänger
oder ein anderes Fahrzeug erst im letzten Moment.
- Ich habe manchmal das Gefühl, andere
Verkehrsteilnehmer zu behindern.
- Ich werde häufig innerorts überholt.
- Angehörige machen sich Sorgen, wenn ich als
Lenker mit dem Auto unterwegs bin.
Fahren im Alter (Fazit)
In der Schweiz, wie in anderen europäischen
Ländern, wird dem Thema „Fahren im Alter“ noch zu wenig Beachtung
geschenkt. Ältere Fahrer sind einerseits auch nicht die grösste Gruppe
von Unfallverursachern. Die Folgen aus Unfällen mit älteren
Automobilisten sind aber andererseits nicht selten gravierend.
Ebenfalls scheint erwiesen zu sein, dass unter Einbezug der gefahrenen
Kilometer das Unfallrisiko nach 75 Jahren deutlich ansteigt. Aufgrund
der demographischen Entwicklung in den nächsten Jahren wird der Anteil
der älteren Personen am Motorfahrzeugverkehr stark zunehmen.
Demzufolge muss mittelfristig ein tragbares Modell zur
Eruierung der „Fahreignung im Alter“ in Kraft gesetzt werden.
Durch diese zukünftige
Zusammenarbeit zwischen Senioren, Hausärzten, Fahrberatern, asa,
Verkehrspsychologen und der Polizei ist Gewähr geboten, dass gesunde
ältere Fahrer keine latente Gefahr im Strassenverkehr darstellen und
auf ihre Lebensfreude und Mobilität nicht verzichten müssen.
Motivation statt Druck !
Lösungsvorschläge:
Um einen Senior für die Rückgabe seiner Fahrlizenz
zusätzlich zu motivieren, sollten alle Personen, welche nach dem 70.
Altersjahr freiwillig den Fahrausweis abgeben, kostenlos ein
Generalabonnement (GA) der SBB für ein Jahr erhalten.
Ebenfalls könnten das zuständige StVA oder die
Versicherungsgesellschaften allen 70-Jährigen kostenlos einen Gutschein
für eine Doppelstunde in der Fahrberatung abgeben. Da aus vorliegenden
Statistiken das Fehlverhalten von Senioren im Strassenverkehr bekannt
ist (siehe Seite 15), könnte ein kompetenter Kontakt (Fahrberater) zu
Fragen, welche der Strassenverkehr mit Senioren aufwirft, geschaffen
werden. Diese Massnahmen könnten weiter die vorhandenen
Verunsicherungen bei Senioren schmälern. Auch wäre der finanzielle
Aufwand wirtschaftlich problemlos vertretbar.
Zu überlegen wäre auch eine Abgabe eines
Seniorenpasses ab dem 72. Altersjahr, welcher vorsieht, den Senior alle
zwei Jahre (im Turnus mit der ärztlichen Untersuchung) fahrerisch durch
Fahrberater zu schulen. Dies hätte den Vorteil, dass Senioren, welche
sehr selten ihr Fahrzeug benützen, vorzeitig auf den Fahrausweis
verzichten oder von sich aus den Kontakt zu einem kompetenten
Fahrberater suchen.
Konklusion
- Wer selten fährt und sich nicht weiterbildet, dem mangelt es an Fahr- und Verkehrspraxis.
- Wer keine Fahrpraxis hat, fühlt sich unsicher.
- Wer sich unsicher und überfordert fühlt, erzeugt Angstgefühle und wirkt unkonzentriert.
- Die Angst beim und vor dem Fahren nimmt weiter zu und kann zu schweren Unfällen führen.
- Der Anteil älterer Fahrer auf unseren Strassen
wird in den nächsten Jahren stark ansteigen.
- Das Problem „Fahren im Alter“ wird zwangsläufig
auf uns zukommen.
- Es gibt keine klare Trennlinie zwischen
Fahreignungsfähigkeit und -unfähigkeitsondern lediglich zwischen
„problemlos“ und „problematisch“. Die Grenzen sind meist schleichend.
- Das Gehirn des Seniors ist bis ins hohe Alter voll
funktionsfähig. Die Fahreignung ist nicht alters- sondern
krankheitsabhängig.
- Die Lösungen sind im fördernden und weniger im
beschränkenden Teil zu suchen.
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